Wie wird man eigentlich Ritter?

Was geht im Mittelalter?
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Norbert von Thule
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Registriert: 11.06.2006, 21:15

Wie wird man eigentlich Ritter?

Beitrag von Norbert von Thule »

Heute in "Die Welt":
Ulrich Baron hat geschrieben:
Wie wird man eigentlich Ritter?

Jungenträume und die mittelalterliche Realität in zwei Büchern

Das Geschäft mit dem Mittelalter treibt viele Blüten: Don Quijote hat noch blödsinnig werden müssen, um sich für einen Ritter halten zu können. Der Mensch von heute kann den Besuch von Turnierveranstaltungen online buchen. Wer in eigener Rüstung etwa zum Kaltenberger Ritterturnier anreist, sollte freilich beachten: "Das Tragen eines mittelalterlichen Kostüms entbindet nicht vom Kauf einer Eintrittskarte."
Auch auf dem Buchmarkt wird mit Rittern Geld verdient. Der englische Mittelalter-Spezialist Michael Prestwich und der Kölner Germanist Karl-Heinz Göttert zeigen mit ihren unterschiedlichen Büchern, welche Spannweite das Thema auch in der Geschichtswissenschaft besitzt. Prestwich beantwortet Fragen, auf die wir als Kinder nie richtige Antworten erhalten haben - etwa die, "Wie man Ritter wird". Der deutsche Kulturwissenschaftler Göttert hingegen fragt, ob es den Ritter, wie man ihn sich vorstellt, tatsächlich gegeben habe. Das Buch von Prestwich hat eine eher junge Zielgruppe im Blick, deren Interesse an Rittern und Rittertum vor allem durch "Hardware" genährt wird. Dank der "Checkliste Körperschutz" ist es hier ein Kinderspiel, in eine Ritterrüstung zu schlüpfen. Zumindest in der Fantasie, die in Prestwichs Buch durch Kapitel über Turniere, Feld- und Kreuzzüge, Belagerungen und Beute genährt wird.
Kraft war auch notwendig, um mit einer Rüstung von 25 bis 30 Kilogramm Gewicht mobil zu bleiben: "Feldzüge sind Schwerstarbeit", schreibt Prestwich - und unterwegs sei die Kost der Panzerreiter mager ausgefallen. Als die englische Armee 1356 in Schottland einfiel, habe man außer Regenwasser nichts zu trinken gehabt. Drei Jahrzehnte zuvor habe man dort bei der Nahrungssuche nur eine einzige Kuh erbeutet. Auch wenn hier englische Vorbehalte gegenüber den Nachbarn mitgespielt haben mögen, war das doch deutlich weniger als man es bei Festen in der Heimat gewohnt war: 5000 Aale, 267 Kabeljaue, 136 Hechte und 102 Lachse seien 1302 bei der Feier aufgetischt worden, als der spätere König Edward II. den Ritterschlag erhalten habe.
Solche fetten Realien spielen im Buch Karl-Heinz Götterts keine Rolle. Er nähert sich der Geschichte des Ritters über die Literatur und deren Idealbilder, denn die Faszination des Rittertums reicht weit über die kindliche Begeisterung für Schwerter hinaus: "Der Ritter ist die archaische Version des modernen Menschen", konstatiert Göttert, "frei, aber ohne die Kosten der Selbstbestimmung, wenn man diese mit den anderen teilen muss." Als "Schrittmacher der Moderne" sei der Ritter eine Gegenfigur zum Bürger gewesen, der seit dem 12. Jahrhundert zunächst in Italien "in der Kommune die Prinzipien autonomen Zusammenlebens" erkundet habe. Ob diese Interpretation den Alltag des Hochmittelalters angemessen beschreibt, sei dahingestellt. Doch sie erklärt die Mythisierung des Rittertums in den Wunschträumen zahlloser Bürger, die in ihren Stadthäusern und Werkstätten von einem selbstherrlichen Leben träumten.
Doch wie wurde man nun Ritter? Prestwich verrät, dass die Herkunft eine wichtige Rolle spielte und man ohne adlige Vorfahren in Frankreich nur geringe Chancen hatte, während in England von Männern mit mehr als 40 Pfund Jahreseinkommen sogar gefordert wurde, Ritter zu werden. Etymologisch ist der Ritter ein Reiter, ein berittener Krieger. Doch Krieger dienen, und um aus Panzerreitern Herren zu machen, hätten sich Adlige ihnen "gewissermaßen entgegen" beugen, hätten sie sich das Ideal des ritterlichen Kriegers zueigen machen müssen. Das Rittertum entstand nach dieser Lesart weniger durch eine Nobilitierung tapferer Kämpfer, sondern war eine heroische Pose, in der sich der Adel gefiel.
Ritterspiele sind heute eher Spiele mit der Ausstattung als Beschwörungen eines heroischen Glaubenkampfes. Schon Cervantes hat seinen Ritter von der traurigen Gestalt in einen Kampf mit der Tücke der Objekte verstrickt, und Monty Pythons haben ihre Ritter mit Kokosnussschalen das Klappern von Pferdehufen simulieren lassen. So lächerlich sie dabei anmuten mögen, so sehr verdeutlichen sie, dass auch hier Klappern zum Geschäft gehört hat, dass Rittertum stets eher die Beschwörung eines Ideals als dessen Verwirklichung gewesen ist.
Karl-Heinz Göttert: Die Ritter. Reclam, Stuttgart. 298 S., 22,95 Euro.
Michael Prestwich: Ritter. Primus, Darmstadt. 252 S., 19,90 Euro.
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